Interview • Fühlend, nicht tastend

Bringt das haptische Feedback Robotereingriffe nach vorne?

Die Skepsis bei Eingriffen mit roboter-assistierten Systemen ist auf allen Seiten noch immer groß, auch wenn der Da Vinci-OP-Roboter von Intuitive Surgical schon seit langem etabliert ist. Nur wenige Arbeitsgruppen widmen sich allerdings der Frage, wie sich das chirurgische Instrumentarium weiter verbessern lässt. Die Universitätsklinik Tübingen, speziell die Arbeitsgruppe chirurgische Technologie und Training der Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie, ist schon einen Schritt weiter. Hier wird speziell das haptische Feedback für Roboterassistenzsysteme erforscht. „Wir stehen vor der spannenden Einführung mehrerer Systeme in den Markt“, verrät Dr. Andreas Kirschniak, Leiter dieser Arbeitsgruppe und selbst Chirurg.

Interview: Marcel Rasch

Warum ist die Skepsis so groß?

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Dr. Andreas Kirschniak, Leiter der Arbeitsgruppe chirurgische Technologie und Training der Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie.

„Wir stehen im Zwiespalt zwischen der Machbarkeit, diese Innovationen einzusetzen und der ökonomischen Betrachtung der Systeme“, so Andreas Kirschniak. „In den Ländern, die fallbezogen abrechnen und speziell in Deutschland, ist das Hauptproblem, dass sich der Einsatz der Geräte zumeist aus ökonomischer Sicht nicht lohnt“, führt er weiter aus. Wenn für den einmaligen Einsatz eines Roboterassistenzsystems mehr Geld aufgewendet werden muss, als die Krankenkasse für die jeweilige Behandlung abrechnet, stellt sich die Frage, bei welchen Eingriffen der Einsatz dann noch sinnvoll erscheint.

Eine aktuelle Studie1 schürte die Hoffnung, dass die Roboter herstellende Industrie onkologische Therapierergebnisse durch den Einsatz von Robotersystemen verbessern kann. „Leider lief diese Studie nicht wie erwartet, denn es zeigt sich zwar ein Trend für diese These, aber keine Signifikanz“, so Kirschniak. Die Frage lautet also für viele Mediziner, ob es sinnvoll ist, derart teures technologisches Equipment anzuschaffen. Denn es schlagen auch die laufenden Fix- und Ausbildungskosten zu Buche. „Das eröffnet eben jenes Spannungsfeld zwischen Ökonomie und machbarer Innovation in der Medizin“, beklagt der Chirurg. Trotzdem zeigt sich Kirschniak von der roboterassistierten Chirurgie überzeugt: „Besonders bei Eingriffen, bei denen auf kleinstem Raum durch minimale Zugänge genäht werden muss, zum Beispiel bei einer Rektopexie nach D’Hoore, ist der Roboter einfach unschlagbar.“

Hier kommt das haptische Feedback ins Spiel

Wenn nun der Chirurg am Monitor sitzt und dem Roboter den Befehl gibt, am Gewebe zu ziehen, dann führt dieser den Befehl ohne Rücksicht auf Verluste aus. Bislang geben Robotersysteme noch keine Rückkopplung über die Kraft, die sie in vivo anwenden.

Dr. Andreas Kirschniak

„Sind Sie mit Ihren Fingern am Patienten, spüren Sie genau, wie kräftig sich das Gewebe anfühlt, wie viel Spannung auf das Gewebe entsteht und wie stark Sie es quetschen“, erklärt Kirschniak und führt weiter aus: „Auch mit einer Pinzette und einem Nadelhalter bekommen Sie eine gewisse Rückkopplung. Aber das haptische Feedback ist auch da schon stark eingeschränkt.“ Das haptische Feedback nimmt in der nächsten Stufe bei der  laparoskopischen Chirurgie weiter ab, bei der mit langen Instrumenten gearbeitet wird.

„Und jetzt kommt der Roboter ins Spiel, der viel mehr Kraft aufwenden kann als ein Mensch. Wenn nun der Chirurg am Monitor sitzt und dem Roboter den Befehl gibt, am Gewebe zu ziehen, dann führt dieser den Befehl ohne Rücksicht auf Verluste aus“, bringt es der Praktiker auf den Punkt. „Bislang geben Robotersysteme noch keine Rückkopplung über die Kraft, die sie in vivo anwenden.“ Allerdings sollen in den nächsten zwei Jahren Geräte auf den Markt kommen, die über ein solches haptisches Feedback verfügen.

Kirschniak sieht darin einen großen Vorteil, denn ein Eingriff, egal ob mit Roboter oder ohne, habe auch immer mit sanftem Operieren zu tun. „Wir haben hier in Zusammenarbeit mit der technischen Universität Darmstadt eine Kooperation im Rahmen eines DFG Projektes, für das wir einen solchen Roboter realisiert haben. Dieser funktioniert sehr gut“, freut sich Kirschniak. Bei dem neuen Roboter werden die angewandten Kräfte nicht an der Spitze der Instrumente im sterilen Bereich gemessen, sondern in den nicht sterilen Bereich umgeleitet und an den Operateur als Feedback zurückgegeben.


Die Zukunft wird es zeigen

Ich bin davon überzeugt, dass diese neue Technologie in Zukunft für zusätzliche Indikationsstellungen sorgt. Besonders dank der Eigenschaft des Roboters um die Ecke und auf kleinstem Raum operieren zu können

PD Dr. Andreas Kirschniak

„Stellen Sie sich vor, Sie wissen nach entsprechenden Testreihen präzise, wie stark Sie an einem bestimmten Gewebe ziehen dürfen, ohne Mikrotraumatisierungen zu verursachen“, beschreibt Kirschniak. Das wäre ein großer Fortschritt, denn bei fast jedem chirurgischen Eingriff kommt es zu kleinen, zum Teil nicht sichtbaren, Einrissen, auch weil jeder Mensch sich anders anfühlt und das Gewebe andere Eigenschaften hat.

„Ich bin davon überzeugt, dass diese neue Technologie in Zukunft für zusätzliche Indikationsstellungen sorgt. Besonders dank der Eigenschaft des Roboters um die Ecke und auf kleinstem Raum operieren zu können“, ist Andreas Kirschniak von seiner Anwendung überzeugt. „Zwar muss ehrlicherweise gesagt werden, dass sich die Roboterchirurgie erst noch beweisen muss, aber wenn die ersten Roboter mit haptischem Feedback auf dem Markt sind, wird sich der Markt selbst regulieren und neue Anwendungsmöglichkeiten werden entstehen.“


Profil:
PD Dr. Andreas Kirschniak leitet die AG chirurgische Technologie und Training der Allgemein-,Viszeral- und Transplantationschirurgie der Universitätsklinik Tübingen. Sein klinischer Schwerpunkt ist die Colorektale und Beckenbodenchirurgie, die roboterunterstützte Chirurgie und die chirurgische Behandlung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen.

1: RObotic Versus LAparoscopic Resection for Rectal Cancer (ROLARR), https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01736072

08.08.2016

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